Für mehr Klimagerechtigkeit – klimabedingte Flucht auch als unsere Verantwortung und Hilfsverpflichtung anerkennen
Der schnell fortschreitende Klimawandel trifft die „Least Developed Countries“, die wirtschaftlich ärmsten Regionen, besonders hart. Darunter zu leiden haben vor allem die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten sowie, als Folge der Abwanderung, die BewohnerInnen der urbanen Slums. So verstärken sich die ohnehin krassen Gegensätze und sozialen Ungerechtigkeiten in der Weltgesellschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass der Klimawandel und dessen Folgen ganz überwiegend von den entwickelten und wirtschaftlich privilegierten Regionen und Gesellschaftsklassen verursacht sind. Diese verweigern sich aber nicht nur einem wirksamen Gegensteuern, erst recht erkennen sie ihre Verantwortung für die Verursachung der Klimaschäden, die notwendige Klimaanpassung und den angemessenen Entschädigungen bisher nicht im notwendigen Umfang an.
In einer globalisierten Welt müssen Menschen und Staaten auch für unbeabsichtigte Probleme und Folgen einstehen, die sie durch ihr Handeln anderen Orts anderen Menschen und Gesellschaften auflasten. Das Ansinnen aus vom Klimawandel betroffenen Regionen nach „Reparationen“ aus dem Kreis der Verursacher ist daher nicht nur nachvollziehbar, es ist berechtigt. So wird auch Deutschland – wie andere altindustrielle Länder – für Schäden aufkommen müssen, die „wir“ jahrzehntelang mit überhöhten Treibhausgas-Emissionen verursacht haben.
Dass Menschen aufgrund klimatischer Veränderungen ihre angestammten Wohnorte und Lebenskreise verlassen müssen, ist seit Jahren bedrückende Realität. Klimawandel verstärkt die Flucht aus schwieriger werdenden ländlichen Lebensumständen in städtische Slums. Soziales Elend und gewaltförmig ausgetragene Sozialkonflikte sind häufig eine Folge der klimabedingten Migration.
Auch die Häufigkeit von plötzlichen klimabedingten Groß-Katastrophen wird weltweit zunehmen. Dies in jedem Fall solange eine Politik der Verhinderung des beschleunigten Klimawandels noch nicht auf den Weg gebracht ist bzw. noch nicht konkret greift. Für diese Katastrophen muss vorgesorgt werden: die Weltgemeinschaft muss Mittel bereitstellen, die kurz- und langfristig eingesetzt werden können, wenn sie benötigt werden. Auch diese Mittel müssen und können die Verursacherstaaten im Verhältnis ihres Beitrages zum Klimawandel tragen.
Die durch Klimawandel bedingte Flucht überschreitet heute schon oft Ländergrenzen. Nach vorsichtigen Schätzungen betrifft dies gegenwärtig bereits bis zu 50 Millionen Menschen. Vermutlich liegt die Zahl der Betroffenen weit höher. Kritische wirtschaftliche Entwicklungen durch anhaltende Dürren, unregelmäßig werdende Regenzeiten, andere extreme Wetterlagen oder durch Landverknappung bewirkte Nutzungskonflikte sind oftmals in ihren klimatischen Zusammenhängen nur schwer abschätzbar. In jedem Fall steht zu erwarten, dass innerhalb von zwei bis drei Jahrzehnten die Zahl der klimabedingten Flüchtlinge auf mehrere hundert Millionen ansteigen wird, wie auch die ‚International Organization for Migration – IOM’ bereits 2008 feststellte. Einer solchen Entwicklung dürfen die verursachenden Staaten nicht tatenlos zusehen. Vielmehr ist aus verantwortungsethischer Sicht Handeln gefordert, nicht nur im berechtigten Interesse der Betroffenen, sondern auch zur präventiven Sicherung des Weltfriedens.
Wir dürfen die Dinge nicht schleifen lassen, wir müssen uns der durch Klimawandel bedingten Flucht und Migration schon jetzt praktisch stellen. Dazu gehört aus unserer Sicht:
- Die Selbstverpflichtung der Industrieländer im Kopenhagen-Akkord von Dezember 2009 ist rechtlich bindend zu gestalten, bis zum Jahr 2012 sind mindestens 30 Mrd. Dollar bereit zu stellen und ab 2020 sind mindestens 100 Mrd. Dollar jährlich für Maßnahmen des Klimaschutzes, der Klimaanpassung und der Entschädigung in den wenig entwickelten Ländern verfügbar zu machen. Die Finanzmittel sind in den weniger entwickelten und am stärksten von Klimawandel betroffenen Ländern, und zwar unter Partizipation der betroffenen Bevölkerung, Parlamente und Regierungen, einzusetzen. Sie sind zusätzlich zur weiter geltenden Verpflichtung bereitzustellen, die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7% des jeweiligen Bruttosozialprodukts (BSP) zu erhöhen.
- Die schwarz-gelbe Bundesregierung muss – statt bei Klimaschutzversprechungen herumzutricksen – die bereits in Kopenhagen gegebenen Versprechen endlich wahr machen und umgehend den unserem Land entsprechenden Anteil bereitstellen. Dabei müssen die im Rahmen der Klimakonferenz zugesagten Mittel (siehe oben) zusätzlich zu denen aus der Entwicklungshilfe – und den bereits für erneuerbare Energien und die Afrikahilfe versprochenen – gezahlt werden.
- Es sind jegliche Ansätze zu unterbinden, das Problem „klimabedingter Flucht“ – etwa aus Afrika – militärisch lösen zu wollen. Äußerungen wie die des NATO-Generalsekretärs im Oktober 2009: „… die Armeen sollten in die Lage versetzt werden, künftig mit … plötzlichen Massenwanderungen umgehen zu können – sei es international oder im eigenen Land“ – sind für uns Warnzeichen. Wir fordern die Bundesregierung auf, friedliche Lösungen zu suchen und Geld in Klimaschutz statt Militär zu investieren.
- Rolle und Auftrag der Europäischen Agentur Frontex – (sie koordiniert den Schutz der EU-Außengrenzen und überwacht die Routen der Flüchtlinge, die nach Europa gelangen wollen) – sind kritisch zu prüfen.
Bündnis 90/Die Grünen sind sich bewusst, dass äußerst schwierige Debatten und Entscheidungen auf uns zukommen. Die mögliche Anzahl klimabedingter Flüchtlinge ist unabsehbar. Häufig mischen sich Armut, Klimawandel, ethnische und kriegerische Konflikte, die eine trennscharfe Klärung für Fluchtgründe oft unmöglich machen. Doch wir sind uns einer wachsenden und drängenden Problematik bewusst, vor der sich konservative Kräfte notfalls militärisch abschirmen wollen. Bündnis 90/Die Grünen möchten daher in eine breite Debatte innerhalb der Partei und mit der Gesellschaft einsteigen, um Wege zu suchen, auf denen wir zu mehr Klimagerechtigkeit in der Welt beitragen können. Dazu gehört auch die Frage, welchen völkerrechtlichen Status Klimaflüchtlinge haben. Der Bundesvorstand wird aufgefordert, eine Kommission einzurichten, die sich mit dem Thema ‚Klimagerechtigkeit und klimabedingte Flucht’ befasst und einen Kongress auf Bundesebene dazu durchzuführen.