Dilemma und Lösungsvorschläge
Der laufende Konflikt um Rossendorf-Ahaus veranlasst mich, Euch auf die ungeklärte und ökologisch wie politisch höchst problematische Situation in der Entsorgung hochradioaktiver (abgebrannter) Brennelemente bei den deutschen Forschungsreaktoren hinzuweisen und Lösungsvorschläge zu machen. In dieser Frage gibt es eine Lücke im Atomgesetz 2002, die dringend nachbesserungsbedürftig ist.
Ich schildere kurz die Situation: Derzeit sind in Deutschland 5 größere Forschungsreaktoren in Betrieb: Der BER II in Berlin mit 8 MW, der FRJ-2 in Jülich mit 23 MW, TRIGA in Mainz, FRG-1 in Geesthacht, 5 MW, und seit März 2004 (leider) auch FRM-II in Garching mit 20 MW ( aber weitaus höherer Neutronenerzeugung). Daneben gibt es 11 Forschungsreaktoren, die entweder stillgelegt oder in Stillegung begriffen sind, darunter der von Rossendorf, um dessen Entsorgung es gegenwärtig „nur“ geht.
Für sämtliche genannten Reaktoren ist die Entsorgung der vernutzten Brennelemente – hochradioaktives Material – ungeklärt. Die derzeitige Praxis ist ökologisch wie politisch sehr problematisch und von Grünen nicht zu vertreten. Entweder lagert das Zeug irgendwie und schlecht gesichert vor Ort und soll – wie bei Rossendorf – abtransportiert werden. Oder es wird in die nuklearen Anlagen und Zwischenlager von Savannah River in den USA verbracht. Das ist ein klassischer Atommüllexport, der im übrigen in der US-amerikanischen Umweltbewegung seit Jahren auf Dauerproteste stößt. Vor einigen Jahren wurden die Brennelemente auch nach Dounreay in Nordschottland transportiert – diese Art der „Entsorgung“ war im übrigen der Anlass für den berühmten Konflikt von Michaele Schryer, damals Umsweltsenatorin in Berlin, mit Walter Momper. Michaele verweigerte mit dem Argument der ungeklärten Entsorgung die Betriebsgenehmigung für den BER II des Hahn-Meitner Instituts, die rot/grüne Koalition wäre über diesen Konflikt beinahe gestürzt.
Die Transporte nach Savannah River sind auch deshalb problematisch, weil das mit Uran-235 angereicherte Uran für die Nuklearrüstung verwendbar ist, vermutlich hauptsächlich für Reaktoren von Atom-U-Booten. Sicher: es geht in dem Atomwaffenstaat USA – aber wir wollen die auch nicht als Atommacht weiter „mästen“. Zum zweiten sind die Lieferungen in die USA bis 2009 befristet und gilt auch dann nur für Brennelemente, die bis 2006 entladen worden sind. Sehr die Frage ist, ob eine (hoffentlich) nicht-mehr-Bush Regierung die Erlaubnis verlängern würde.
Diese Unsicherheit ist einer der Gründe, weshalb die fraglichen Institute jetzt anders planen und wahrscheinlich eine Lieferung der hochradioaktiven Reste zur Wiederaufarbeitung nach La Hague anpeilen. Definitiv weiß ich das für den BER II in Berlin (morgen gibt es dazu eine Grüne Debatte vor Ort). Wir Grüne wären dann in einer politisch höchst unangenehmen Situation: Es wurde 2002 erreicht, dass für AKWs die Lieferung von Brennelementen in die WAA La Hague ( und Sellafield) ab 7/2005 gestoppt wird, etwa zeitgleich würde dann allerdings der Transport von Material aus Forschungsreaktoren zur Wiederaufarbeitung eröffnet.
Ich hoffe, wir können uns darauf verständigen, dass eine solche Entwicklung aus Grüner Sicht nicht vertretbar ist. Auch in unsrem Europaprogramm erklären wir mit gutem Grund:
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Verpflichtung zur nationalen Endlagerung und ein europaweites Verbot des Exports von Atommüll. Auch aus diesem Grund setzen wir uns für eine umgehende Schließung der besonders umweltgefährdenden Wideraufarbeitungsfabriken in La Hague und Sellafield ein.
( S. 29 des Programmtexts)
Wir würden dieser erklärten Position und politisch unseren Grünen FreundInnen in Frankeich in den Rücken fallen, wenn wir solche Transporte ermöglichen.
Wie können wir mit dem Problem umgehen? Ich schlage eine Initiative zur Novellierung des Atomgesetzes vor, indem auch die Entsorgung von Forschungsreaktoren verantwortlich geregelt wird. Wenn wir an der Ablehnung des Atommüllexports und der WAA festhalten gibt es m.E. nur die Möglichkeit, für die Zwischenlagerung der Brennelemente in Deutschland selbst einzutreten. Das müsste entweder ein zentrales Lager ( also wohl doch Ahaus) sein oder eine jeweilige Zwischenlagerung vor Ort. Ob der zweite Weg angesichts der relativ kleinen Mengen sinnvoll ist, möchte ich bezweifeln. Ein dritter Weg wäre, im jeweiligen Bundesland das Zeug in den Zwischenlagern der AKWs „anzulagern“. Dieser Weg wäre allerdings – z.B. – weder für Berlin noch für Sachsen gangbar. Vielleicht wäre da ein gemeinsames Zwischenlager ( etwa in Rossendorf) möglich.
Ich bitte Euch, über das skizzierte Problem und über meine Lösungsvorschläge nachzudenken. Auf keinen Fall dürfen wir das Problem auf die leichte Schulter nehmen. Schließlich sind bereits gegen die Transporte von Rossendorf nach Ahaus große Protestaktionen – auch von Grüner Seite in NRW und Sachsen – angekündigt. Wir machen uns aber total unglaubwürdig, wenn wir den Abtransport von Rossendorf nach Ahaus kritisieren, dagegen den Export von Jülich in die USA stillschweigend, demnächst evtl. auch nach La Hague, dulden würden.
Hartwig Berger, 030-31800406
Berlin, 23.05.2004