Hartwig Berger
Sprecher der BAG Energie Bündnis 90/Die Grünen
hartwig.berger@t-online.de
Bericht von der Veranstaltung
Pläne zum Bau eines europäischen Atomreaktors –EPR –
und eine mögliche nukleare Renaissance der Atomkraftnutzung
auf Einladung der Grünen Europa-Fraktion in Brüssel, 08.01. 2004
Am Treffen in Brüssel nahmen 25 Personen teil, zumeist aus europäisch engagierten NG0s, aus Frankreich, England, Finnland, den Benelux-Ländern, Deutschland. Es waren mehrere wissenschaftliche Institute vertreten, 3 Europa-Abgeordnete und der Energie-Experte der Fraktion, Michel Raquet.
Analyse und Diskussion zentrierten sich auf die Pläne zum Bau eines oder mehrerer Europäischer Druckwasserreaktoren (EPR), Hintergründe dieser Pläne in der Entwicklung der europäischen Atomwirtschaft und auf mögliche Strategien gegen eine befürchtete Renaissance der Nuklearbranche.
In Finnland, das 4 AKWs betreibt, ist die Entscheidung für den Bau eines 5. 1600 MW EPR im Jahr 2002 mit knapper parlamentarischer Mehrheit getroffen worden. Der Sinneswandel weniger Abgeordneter reichte für den weitreichenden Kurswechsel. Eine Genehmigung des Vorhabens ist für Anfang 2005 zu erwarten. Die Kosten werden auf 3 Mrd. € veranschlagt. Durchgeführt wird der Auftrag von Framatome, ein Unternehmen an dem die französische Staatsfirma Areva zu 74%, Siemens zu 26% beteiligt ist. Öffentliche Finanzmittel soll es laut offiziellem Bekunden nicht geben, das wurden auf dem Treffen jedoch mit guten Gründen bezweifelt. Insbesondere ist mit möglicherweiseverdeckten Krediten und Zuschüssen aus Euratom-Geldern zu rechnen. Die Grüne EP-Fraktion wird zum Finanzkomplex ein Gutachten in Auftrag geben.
Die Atomindustrie in Finnland verbucht als Positivum, dass es dort bisher keine ernsthaften Unfälle gegeben hat und dass mit dem Baubeginn für ein nationales Endlager 2012 zu rechnen ist. Widerstand am Konstruktionsort gibt es praktisch nicht, er muss auf nationaler Ebene organisiert werden.
In Frankreich gibt es seit 2002 eine Diskussion über den Bau eines EPR, jedoch keine Entscheidung. Die EDF verfügt mit 58 AKWs über deutliche Überkapazitäten, auch wenn man Chancen im Stromexport einbezieht. Entscheidungen über den möglichen Ersatz auslaufender AKWs sind vor dem Jahr 2015 nicht erforderlich. Vor allem die Industrieministerin Nicole Fontaine – ehemalige Präsidentin des Europäischen Parlaments – hat den Bau eines EPR gefordert. Für solche Pläne sind 3 Standorte – 2 im Norden, 1 an der Rhône – in Diskussion. Allerdings wird im regierungsamtlichen „Weißbuch“ zum vorgesehenen französischen „Energie-Orientierungsgesetz“ die Frage der Zukunft nuklearer Energiegewinnung kaum und nur sehr allgemein angesprochen. Gegen den Bau eines EPR haben sich auch durchaus pro-nukleare Parteien wie die Sozialisten, die mitregierende UDF und einige Abgeordneten aus der Mehrheitspartei UMP ausgesprochen-.
Die EDF würde einen EPR nur mit öffentlicher Subventionierung bauen wollen und als Explorationsprojekt für den Einstieg in zukünftige Reaktorgeneration erklären. In durchaus nuklearfreundlichen Kreisen Frankreichs herrscht aber die Einschätzung vor, dass zukünftige AKWs nicht nach dem Modell „EPR“ sondern in „modernerer“ Version gebaut werden. Der EPR ist bestenfalls ein Projekt der Brückentechnologie.
Die anwesenden Experten bezweifelten, dass mit den Plänen des EPR eine nukleare Renaissance in der EU zu erwarten sei. Finnland gilt ihnen eher als Ausnahmefall. Der nukleare Strommarkt in Europa leidet an Überkapazität. Neue AKWs zur Sicherung der Stromversorgung seien daher nicht aktuell. Auch Neubauten als Ersatz von (auszurangierenden) Altanlagen stünden nicht auf der Tagesordnung. Gleichwohl seien die EPR-Pläne aus zwei strategischen Erwägungen ernst zu nehmen:
• Imagegewinn und die Errichtung von Modell anlagen für eine sich globalisierende Atomindustrie. Wenn europäische Firmen einen oder mehrere Modellreaktoren in der EU vorzuzeigen haben, rechnen sie sich bessere Erfolgschancen auf evtl. Märkten außerhalb der EU aus. Genannt wurden in diesem Zusammenhang insbesondere osteuropäische Staaten und China.
• Erhaltung der nuklearen Fachkompetenz. Nicht nur in Deutschland leidet die nukleare Fachwelt an Auszehrung und schwindender Attraktivität vor allem unter jungen Leuten. Allein um ihre wachsenden Nachwuchsprobleme zu lösen, muss sie über interessante und „innovativ“ erscheinende Projekte Betätigungs- und Entwicklungsfelder anbieten.
Überlegungen zu einer gemeinsamen anti-nuklearen Strategie wurden weniger diskutiert als ursprünglich geplant. Es wurden hier auch keine Vereinbarungen getroffen. Im wesentlichen wurden folgende Vorschläge gemacht:
• Es ist zwar richtig, dass die Wirtschaftlichkeit von AKW-Neubauplänen mit guten Argumenten bezweifelt werden kann. Dennoch sollte die Kritik weniger auf ökonomische Gesichtspunkte zielen und sich wieder stärker auf die enormen Risiken der Atomkraftnutzung konzentrieren. Insbesondere wurden hier die neu aufgetretenen Gefahren durch gezielte Terroranschläge genannt, gegen die kein einziges europäisches Land auch nur annähernd Schutzvorkehrungen getroffen hat bzw. überhaupt treffen kann. Die Diskussion zu diesen Risiken sollte in den einzelnen Ländern intensiver geführt und europaweit vernetzt werden.
• Wir dürfen nicht nachlassen, die Beendigung des Euratom-Vertrages zu einem europäischen Thema zu machen. Die Forderung, eine Vertragsstaatenkonferenz mit dem Ziel seiner Beendigung zum 50jährigen Jubiläum 2007 einzuberufen, wurde natürlich erwähnt. Es ist wichtig, dazu sowohl auf europäischer Ebene wie in allen Mitgliedsländern Druck zu machen.
• Boykottmaßnahmen gegen Firmen, die in Atomgeschäfte verwickelt sind, wurden unterstützt. Die Idee einer Erneuerung des Siemensboykotts in Deutschland – wegen des Hanau-Konflikts und wegen der Beteiligung am EPR in Finnland – wurde positiv aufgenommen. Allerdings ist er auf andere Länder schwerer übertragbar. So beschränken sich die ökonomischen Aktivitäten von Areva und Framatome in Frankreich auf die Nuklear ( und Fusions?)-Branche. Gleichwohl gibt es in der französischen Anti-Atombewegung Bestrebungen, mit der Liberalisierung des internen Strommarkts ab 2007 den Strombezug von EDF zu boykottieren. Die Einführung der Kennzeichnungspflicht für Strom innerhalb der EU gibt dazu eine wichtige Entscheidungshilfe. Es erschien wichtig, solche Boykottaktionen von Atomstromlieferanten auch in anderen EU-Ländern zu diskutieren.
Abschließend wurde zu breiter Beteiligung an der europäischen Anti-Atomdemononstration in Paris am 17.01. aufgerufen, die sich explizit gegen die Neubaupläne derzeit in Finnland und Frankreich richtet.
Berlin, 12.01. 2004